Risse im Asphalt & »The Sense for Perfection» — Ein kleines Plaedoyer fuer Sparsamkeit im Strassenbau


Ende 40-er Jahre »gehoerte» die Strasse noch in viel groesserem Mass den Bewohner_innen des Dorfs als den Autos. — Auf dem Bild: die Maegenwiler Hauptstrasse vor dem Restaurant Baeren. Der Herr in der Mitte und die Dame in schwarz, dritte von rechts waren meine Grosseltern, dazwischen und daneben (noch nicht exakt identifiziert) meine Onkels und Tanten in jungen Jahren . .


»Risse im Asphalt» & »The Sense for Perfection» — Ein kleines Plaedoyer fuer mehr Sparsamkeit im Strassenbau  (( eine Art freundlich gesinnter »Protest» fuer das »froehliche Gesundschrumpfen» . . ))

Ich moechte nicht rechthaberisch sein, denn ich kenne die Details des Projektes um das es hier geht nur lueckenhaft. Ich moechte auch weder irgendjemandem ins Gaertchen treten noch irgendjemandem, der oder die am Projekt mitgearbeitet hat, schlechte Arbeit vorwerfen. — Eher habe ich den Eindruck, dass alle in Schweizerischer Perfektion tadellos gearbeitet haben, dass sie vielleicht sogar zu tadellos die alleraktuellsten Normen und Gepflogenheiten des aargauisch-kantonalen Strassenbaus beruecksichtigt haben. — Es wurde zumindest in meinen Augen in die Richtung eines an Luxus grenzenden Perfektionismus gearbeitet, der moeglicherweise unter dem Eindruck der aktuellen wirtschaftlichen Situation und der etwas prekaer gewordenen Lage der Gemeindefinanzen mit Gewinn ein bisschen redimensioniert werden koennte. — Ich will hier auf eher sportliche Weise eine Gegensicht vertreten, die also den hierzulande perfektionistischen Umgang im Bereich Strassenbau in Frage stellt, und vielleicht irgendwo auf halber Strecke zur Moeglichkeit fuehren koennte, einige Einsparungen zu machen, — mit dem Zweck, dass am Ende ein groesserer Teil der finanziellen Mittel der Maegenwiler Gemeinde fuer dringendere und existenziellere Aufgaben eingesetzt werden koennen.

Es geht also (auch) um eine allgemeine Wertedebatte, in der ich schuechtern danach fragen will, ob wir nicht besser Gefallen an einem kleinen Riss im Asphalt entwickeln wuerden ? — . . vielleicht entsprechend unseren alternden Gesichtern, die ja auch mit dem Alter immer schoener und schoener werden ! — Dass wir also »Freude» an einem Faeltchen oder einer Furche finden wuerden und damit «gutes« Geld sparen koennten. — Ich zumindest habe mein Vergnuegen an allerlei aesthetischen Zeugnissen und Spuren von vergangenen Ereignissen, die durch diese Spuren erst »erzaehlerisch» werden koennen. — Die Freude an der ( gelegentlich auch unheimlichen ) Aesthetik des Zerfalls ist gleichzeitig die bescheidene Freude an den Spielformen der Lebendigkeit !

Die Situation
In Maegenwil, dem Strassendorf mitten im Aargau, knapp reussseitig vor der Wasserscheide zwischen Reuss- und Buenztal, zwischen dem Juragrat »Chestenberg» und der Reussmoraene »Wagenrain», direkt vor der Autobahnausfahr ; — »Maegenwil vor Bareggtunnel» hiess es oft in den Verkehrsmeldungen, — . . hier soll die gegen 40-jaehrige Hauptstrasse auf den neusten Stand der Technik gebracht werden. Ein Strassenbauplaner, der am Projekt arbeitete und dem ich vor vielleicht zwei Jahren am Telefon sagte: »Wenn ich einem Inder oder einer Suedamerikanerin erklaeren muesste, warum diese Strasse schon >neu gemacht< werden muesse, kaeme ich in Erklaerungsnot», antwortete mir  »Ja, aber wir wollen hier ja auch nicht solche Strassen wie in Indien oder Suedamerika». — Ja klar ! — Und ich muss auch zugeben: es gibt auch in den genannten Laendern sehr reiche Viertel, in denen die Strassen genauso kommunale Statussymbole fuer Wohlstand und Mobiltaetsfreundlichkeit sind . . — (( sie sind beinah eher Fetisch als Gebrauchsobjekt ))

Fuer mich stellen sich zum »Traktandum 3» der kommenden Maegenwiler Gemeindeversammlung (2022-11-28), bei dem es um knapp 2 Mio CHF als Gemeindebeitrag zur Strassenerneuerung geht, einige Fragen, auf die ich nicht unbedingt eine Antwort brauche, aber die ich doch gerne in den Raum — am liebsten: zur Diskussion — stellen moechte. Ich selber bin hier aufgewachsen, aber nicht in Maegenwil als Einwohner ansaessig oder stimmberechtigt, ich habe hier meinen Job und als Co-Hausbesitzer bin ich hier auch Steuerzahler. Ich war 21.11. am Infoabend des Gemeinderates, — bei der Gemeindeversammlung bin ich nicht dabei. Meine Motivation ist neben »konstuktiver Designkritik» mein vielleicht etwas »rustikales» Interesse, nichts an aufwendiger und kostenintensiver Arbeit zu machen, was nicht unbedingt noetig ist. — Ich liebe Recycling-Transformationen oder die Intergration von Bestehendem in neu konzipierten Situationen. — Der Strassenbau hat in der Schweiz mit seinem Perfektionismus ganz allgemein zuweilen eher der Status einer heiligen Kuh . .

»Not macht erfinderisch» sagte in anderem Zusammenhang kuerzlich ein Maegenwiler zu mir. »Not macht erfinderisch» waere ein gutes Motto, um zu fragen:
Welche Teile des Strassenprojekts sind wichtig?
Welche waeren zwar »Nice to have», aber nicht unbedingt noetig?
Welche auch erst spaeter noch realisierbar?
Und welche koennten sogar als unnoetig taxiert werden ?

(( Wenn der Kanton allzu strenge und perfektionistische Vorgaben macht, koennte mer von Gemeindeseite her versuchen, diese da, wo sie etwas weicher sind, anders auszuloten. — Zunaechst vermittelt der Gemeinderat das unter Federfuehrung des Kantons entstandene Projekt. Dieses reagiert selbstverstaendlich noch nicht auf die etwas verunsichernden Aktualitaeten, sondern ist noch ganz im Gestus einer sehr gut situierten Zeit entstanden. — So scheint es mir heute ein bisschen uebertrieben, etwas anachronistisch und ich denke, mer muesste daran zumindest »Kleinigkeiten» korrigieren koennen. ))

Die Strasse wurde vor 30 oder 40 Jahren derart qualitaetvoll gebaut, dass sie eigentlich immernoch eine ziemlich perfekte Strasse ist. Es gibt schon Stellen — zum Beispiel im Kreisel nahe der Grenze zu Othmarsingen — wo der Asphalt schon ziemlich hohe Wellen »geschlagen» hat, oder bei der Kreuzung zur Industriestrasse, wo Frostschaeden entstanden sind, die auch bald zu Schlagloechern fuehren koennten. Der Ruf nach einer Belagserneuerung hat zumindest partiell wohl schon seine Berechtigung. Es gibt aber auch laengere Strecken, die so gut wie perfekt sind, bei denen mer das Gefuehl bekommt, die Strasse wuerde eher den Baufirmen zuliebe gebaut als den fahrenden User_innen. Mit einer partiell erneuerten Strasse, aber gute Teile sparsamkeitshalber im bestehenden Zustand belassen, koennte man/mer sich als bezueglich Nachhaltigkeit »klug&fortschrittlich» und in Bezug aufs Budget »klug&zurueckhaltend» profilieren. Aber sicherlich wollen wir Maegenwiler auch bezueglich Qualitaet der Strasse im regionalen Vergleich nicht unbedingt wie ein trauriger Bub mit geflickten Hosen dastehen, — das muessten wir auch nicht !

z.B. ein Kreisel mit Baum // Trottoirs // Strassenlampen
Der Kreisel auf der Achse »Bahnhof / Friedhof»  koennte im langen »Strassensog» eine schoener Akzent, ine Art »neue Dorfmitte» werden. — Ich saehe die Insel am liebsten als kleinen Platz mit Naturboden und einem Baum, umringt mit einer einfachen Bank. Der Baum duerfte dann wirklich gross werden, da er hier keinem in der Sonne steht. — (( Das Baenkchen auf der Kreiselinsel — um kurz romantisch-poetisch abzuschweifen, — koennte zu einen guten Austragungsort fuer geheime Besprechungen aller Art werden. Wenn es dann sogar eine Linde waer, waeren die Besprechungen wohl auch zumeist dem Frieden zuliebe . .  Wenn es eher eine Eiche waer, wuerde die Insel zu einem Ort, an dem mer/man im angenehmen Sommerschatten kluge Entscheidungen treffen kann )). — Es gab sogar in frueheren Zeiten schon mal einen sehr markanten Baum — eine Kastanie, die fast ueber die Strasse hing und an der Hauptstrasse beim Baeren ein schoenes »BaumTor» bildete. Irgendwann in den achzigern Jahren, als die Lastwagen groesser und die Strasse etwas breiter wurden, musste sie halt weg.

Aber: »Back to the Road of Presence»: — Auch habe ich in Maegenwil von Entwaesserungsproblemen gehoert, die in der Steigung Richtung Othmarsingen im Extremfall zu Ueberschwemmungen fuehren koennten — da will ich nichts gegen eine Verbesserung gesagt haben ! — Die Buchten bei den Bushaltestellen muessen offenbar laenger werden und in den Tritthoehen an die neuen Normen fuer Beeintraechtigte angepasst werden. — Ein Blick in den Untergrund: In der Strasse liegen allerlei Leitungen, einige sind gemaess Gemeindeamman Wiederkehr bis zu 70 Jahre alt und mehr oder weniger sanierungsbeduerftig. — Wenn alles was in den naechsten Jahren gemacht werden muss, in einem Aufwisch gemacht werden kann, sparen wir insgesamt moeglicherweise tatsaechlich Geld — diese Abwaegung ist vernuenftig. — Andernorts wird gewartet, bis ein Panne entsteht, und dann partiell geflickt. Die erste Strategie ist eher eine wohlstaendische, in der auf einmal viel Geld ausgegeben wird, die zweite ist eher die Haeppchenweise-sparsame, die dafuer ab und zu eine Panne vertragen muss. Ich will nicht unbedingt zwischen diesen beiden Haltungen werten.


https://vimeo.com/manage/videos/775270337?embedded=false&source=video_title&owner=40526711
Meine vdeografische Bestandesaufnahme vom 23.11.2022  — Fahrt ueber die Maegenwiler Hauptstrasse von West nach Ost, und wieder zurueck bis zur Alten Bahnhofstrasse

Wenn ich mir vorstelle, als Rollerblades-Fahrer  (in-West-nach-Ost-Richtung) vom Eingang Othmarsingen bis zum Ausgang Richtung Wohlenschwil durch das ganze Dorf zu fahren, und es gaebe auf der ganzen Strecke keinen Ruck unter den Raedern — das waere das Rollerblader-Paradies ! — Aber dafuer muesste schon auf der ganzen Laenge der ganze Fahrbelag erneuert werden. — Kann schon sein, dass die Autofahrer_innen das jetzt einfach brauchen ! — Dann frage ich aber: Ist die Belagserneuerung auch auf den Trottoirs noetig ? — Die Strasse wird ja nicht verbreitert, so koennen Randsteine und Trottoirbelaege doch eigentlich so gelassen werden, wie sie sind ( moeglicherweise ist das auch so geplant, — das muesste nachgefragt werden — ich hab eher den Verdacht, dass aber alles mit Selbstverstaendlichkeit neu geteert werden soll — E suuberi Sach ! ).

Als Fussgaenger bin ich ergonomisch gesehen aber eher froh um ein paar Unebenheiten, Flickenbilder oder mal ein Grasbueschel stoerten mich nicht, — besonders erfreulich waere eine Strecke mit Mergelboden (wir leben ja auf dem Land ! ). — An mindestens zwei Stellen der Maegenwiler Trottoirs gibt es Belagswechsel, — vis-à-vis des Baerens und vis-à-vis der Brauerei bei Meiers. Sie erinnern an fruehrere Zeiten, wo die Strasse noch staubig war und der Vorplatz deswegen mit Bsetzi befestigt wurde. — Eigentlich immer noch recht huebsch, auch wenn mein Leiterwagen dann an diese Stellen etwas lauter schaeppert

Es werden sich nicht alle einig sein darueber, was erstrebenswert ist. Fuer mich ist aber ein etwas »verlebter» Gehwegbelag aesthetisch »schoener» und »lustiger» als ein neuer perfekt cartesianisch gebauter »Spiegel einer Art virtueller Reality». — Wir sitzen ja gerade nicht in einer »Kirche», in der die endlose Geradlinigkeit oder eine ungetruebt-ideale Rechtwinkligkeit gefeiert wird, sondern stehen, spazieren oder fahren auf der Strasse. — Mag sein, dass ich selber ein verkappter Romatiker bin, der sich an Ruinen erfreut oder eben an den poetisch anmutenden Spuren des Zerfalls.  — Vielleicht ist jedoch die Vorstellung, dass ein Parkplatz genau so fein und glatt sein muss wie eine Autobahn, noch staerker von einer romantischen Sehnsucht nach Unvergaenglichkeit und Perfektion gepraegt, als es bei meiner Freude an der broeckligen Natur ( die einfach auch wesentlich billiger zu haben ist ) der Fall ist.

Ich besinge also ein bisschen die Poesie des Zerfalls, die Spuren des Lebens, der Setzungen oder der Bewegungen, die der Boden unter den Fuessen macht. — Wenn eine Wurzel den Gehweg etwas angehoben hat, wird die Lebendigkeit des Untergrunds spuerbar. — Meine Tochter liebte es sehr, in der Stadt mit dem Fahrrad ueber solche Wellen zu fahren . .

Aber was tun ?
Die Maegenwiler Einwohnergemeinde koennte z.B. sagen: Wir wollen ein bisschen sparen. — Entweder warten wir noch ein bisschen, oder wir lassen die Trottoirs wie sie sind — sie duerfen Risse oder Wurzelaufwerfungen haben und Spuren und Falten bekommen. Auch im Fall, dass der gesamte Fahrbelag erneuert wird, koennen wir bei den Fusswegen gut mit den bestehenden Oberflaechen weiterleben.

Auch koennten wir die alten Kandelaber stehenlassen (gemaess der Info des Gemeindepraesidenten sollen sie ersetzt werden). — Sie bestehen aus verzinkten gebogenen Rohren, die ohne weiteres nochmal 50 Jahre zuverlaessig die Leuchtkoerper tragen koennen. Wenn eine neue Lampenfassung fuer die LED-Leuchtkoerper entworfen und hergestellt oder einfach eingebaut werden kann, ist das billiger als wenn das ganze Rohr inkl. Fundament entfernt und dann wieder neu gebaut werden muss. Im Haushalt bekomme ich fuer jeden alten Leuchtkoerper einen neuen Ersatz — in neuester Technologie. — Ist das hier tatsaechlich nicht moeglich? — Dann koennte ja sein, dass halt auch der »Lampenschirm» ausgewechselt werden muesste, die Stange wirds aber sicher noch tun koennen, denn die Strasse wird ja nicht verbreitert ! — Oder schreibt uns irgendeine »heilige Norm» des Kantons vor, den Baufirmen zuliebe die Kandelaber z.B. 5% enger zueinander oder 5% weiter voneinander zu setzen. — Dann muessten wir bitten, betteln und beten !

Vielleicht koennte die Antwort der Gemeinde auch schlicht ein Antrag auf Verzoegerung um ein, zwei oder fuenf Jahre sein, — um die Dringlichkeiten noch etwas anwachsen zu lassen, um Sparmoeglichkeiten serioes zu pruefen und dann auch im Design das genau Richtige zu tun. Integration von Bestehenden. Sparsam — dafuer noch huebscher . .

Als Schlussornament zitiere ich Sting
Sting singt ! — Und ich hoerte ihm und seiner Band The Police als 20-jaehriger Maegenwiler oft und gerne zu.
tobias strebel*

»I ve been too many years in war with myself
doctor has told me, it’s not good for my health
the search for perfection is so very well,
but to look for heaven, means toi live here in hell»

»Consider me gone», 1985

*TMS ist Architekt und Designer, arbeitet in Maegenwil und Zuerich und stuende der Gemeinde fuer dieses Projekt im Bedarfsfall gerne im Frondienst zur Verfuegung